Faszination Spielkarten, Eckhard H. Burgdorf

Faszination Spielkarten

oder von Einem, der auszog, schöne Bildchen zu sammeln

Eckhard H. Burgdorf, Gerlingen

Im Alter von 12 Jahren sammelte ich Briefmarken, fotografierte mit einer Bakelit-BOY BOX Bilder im Format 9x9 cm in schwarz-weiß und las leidenschaftlich gern Lexika. So konnte ich dank KNAURS einbändigem LEXIKON A-Z von 1955 schon damals gut erklären, was es mit der Kaaba in Mekka auf sich hat, dass das Schnabeltier in Australien das weltweit einzige eierlegende Säugetier ist – und viele andere sehr, sehr wichtige Dinge.  Nur wusste ich nichts, wirklich gar nichts, über Spielkarten!

Bis ich dann im Neuen Brockhaus von 1960 auf eine Farbtafel mit Abbildungen von Kartenspielen  stieß, von denen mich eines besonders interessierte – nein, faszinierte: Ein grafisch wunderbar gestaltetes, subtil erotisches Spiel der damals noch lebenden surrealistischen Künstlerin Leonor Fini.

Ich schrieb also einen Brief an Herrn Pinder, den damaligen Direktor des Deutschen Spielkartenmuseum Bielefeld e.V., und fragte, ob und wo man das schöne Spiel denn kaufen könne. Er antwortete sehr freundlich: Ja, das Spiel sei im Bestand des Museums – aber als einziges Exemplar natürlich nicht verkäuflich. Vielleicht könnte ich es noch auf einer Auktion bekommen?

Auf einer Auktion – für Spielkarten? Gibt es so etwas überhaupt? Das fragte ich nicht ihn, sondern mich! Und bat meine Schwägerin, die zu der Zeit in Paris studierte, sie möge bitte in Papier- und Spielwarengeschäften, bei den Bouquinisten an der Seine und notfalls auch in Antiquariaten nach dem Spiel suchen. Sie tat ihr Bestes – aber leider ohne Erfolg!

Jahre später, das Bielefelder Spielkarten Museum war 1972 vom Deutschen Spielkartenmuseum Leinfelden übernommen worden, nahm ich den Kontakt zu dessen Leiterin Margot Dietrich auf. Sie war so freundlich, mir das Spiel herauszusuchen und es mir erstmals im Original zu zeigen. Und nicht nur das,  ich durfte es mit weiß behandschuhten Händen sogar durchblättern – war das schön anzusehen! Mit Goldschnitt und in einer Doppelkassette in Buchform war es auch edel ausgestattet – aber leider eben noch unerreichbar!

Es folgten Kontakte per Brief und FAX zu führenden Spielkarten-Händlern wie Franz Braun in Köln, MGM Münzgalerie München, Maurice Collett in England, Red Rabbit in den U.S.A., Sinselmeijer in Amsterdam und – last not least zu Stanley Gibbons in London mit einer Niederlassung in Frankfurt/M. Von dort kamen vierteljährlich Spielkarten-Verkaufskataloge und ab und zu gab es eine Auktion. Am 28.10.1978 in Frankfurt war es dann endlich soweit: Ich konnte das Fini-Spiel zum Preis von DM 232,- ersteigern – die Fahrtkosten von Stuttgart und zurück nicht eingerechnet – und war sehr glücklich !

Bildergalerie:

Moderne französische Spielkarten

von

Leonor Fini 1949,

Deutsches Spielkartenmuseum Bielefeld 1960




Und war es das? Beute erlegt und Ende? Nein, damit fing das Sammeln erst richtig an.

Die damals in kurzer Folge aufwendig kuratierten Ausstellungen in Leinfelden zu Themen wie Indische Spielkarten, Zauberkarten, Dondorfsche Luxusspielkarten, Skat, Gemalte Spielkarten usw., jeweils mit sorgfältig recherchierten und reich bebilderten Katalogen, weckten immer neue Wünsche, die manchmal unerwartet in Erfüllung gingen. So z.B. in Form von zwei schöne handgemalten Spielen unserer Tochter Uta als Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk.

Ich habe mich bis heute nicht auf ein spezielles Sammelgebiet festgelegt, sondern sammle das, was mich thematisch interessiert, künstlerisch und graphisch gut dargestellt und erschwinglich ist. Das kann aktuell ein Offset-gedrucktes Werbespiel mit Jogi Löw für wenige EURO sein.

Oder ein im Jahr 1974 für einen vierstelligen DM-Betrag erworbenes Zauberspiel, Kupferstich handkoloriert, aus dem Jahr 1720.


Von Geld spricht man nicht, aber ganz ohne geht es beim Sammeln leider nicht. Eine meiner ganz frühen Auktionen war die von WENDT in Wien im Herbst 1974. Sie gestaltete sich hinsichtlich der Preise deshalb recht aufregend, weil die Aufrufe noch in österreichischen Schillingen erfolgten. Als deutscher Bieter musste ich also blitzschnell geteilt durch 7 oder mal 1,4 und geteilt durch 10 rechnen, um die DM-Beträge zu erhalten und über das Weiterbieten entscheiden zu können. Ein Jammer, welch wunderbare, preiswerte Spiele mir damals „durch die Lappen gegangen sind“, weil ich einfach zu langsam war. Es folgten interessante und opulente Treffen der ICPS International Playing Card Society, der Cartophilia Helvetica, von BDK Bube Dame König und TALON in interessanten Städten wie Mailand, Berlin, Zürich, Wien, Budapest, Schaffhausen, Paris, Turnhout, Leinfelden-Echterdingen(!!) – stets bestens organisiert und großzügig gesponsert von den lokalen Spielkartenherstellern. Beim Treffen der IPCS in Mailand 1980 sprach ich Prof. Costante Costantini auf seine eindrucksvollen holzschnittartigen Darstellungen auf den Werbespielen z.B. für Chianti Classico an. Und fragte, ob er vielleicht auch ein Werbespiel für unsere Firma zum Thema Stahlhärtung gestalten könne – basierend auf der Tradition von Wieland dem Schmied. Er konnte – und ging dabei wunderbar auf unser wenig bekanntes Metier ein.

Die geplante limitierte und nummerierte Auflage von 1.200 Spielen hatte sich in vorausgegangenen Anfragen bei den großen Spielkarten-Herstellern wie ASS Leinfelden, AGMüller Neuhausen und Ferdinand Piatnik Wien als viel zu gering erwiesen. Prof. Costantini organisierte also die gesamte Produktion des Spiels in Italien – einschließlich der Anfertigung eines Holzkästchens mit eingebranntem Firmen-Logo. Und das auch noch termingerecht, sodass wir 1981 pünktlich zu Weihnachten 800 Spiele an unsere Kunden verschenken konnten. Der Rest ging danach an Händler und befreundete Sammler.

BURGDORF Abschreckhärtetechnik
Werbespiel 1981


Bierglas-Unikate von Rudolf Schmid / Viechtach

Bei meinen Geschäftsreisen in die Schweiz, nach Frankreich, Italien und Österreich gab es immer wieder Gelegenheiten zu interessanten Neuerwerbungen für die Sammlung, besonders auch bei Urlaubsaufenthalten im Bayerischen Wald. In der Gläsernen Scheune in Viechtach hatte ich die Künstlerfamilie Schmid kennengelernt und war beeindruckt von deren Aktivitäten – nicht nur aber auch – in Sachen Spielkarten. Bei Rudolf Schmid, Hinterglasmaler und Glaskünstler, konnte ich über die Jahre eine Serie schön gestalteter Weißbierglas-Unikate und Henkelgläser mit Spielkartenmotiven erstehen. Die Quelle versiegte leider, als er befand, er sei ja Künstler und nicht Kunsthandwerker – und sich wieder anderen Glas-Themen zuwandte – z.B. einem Gläsernen Wald bei der Stadt Regen oder einem monumentalen gläsernen Säulenkaktus auf Fuerteventura.

Sein Sohn Reinhard Schmid, ebenfalls Hinterglasmaler mit ganz neuen von ihm entwickelten Techniken, arbeitete seit 1994 in der ehemaligen Kapelle des historischen Bürgerspitals in Viechtach an seiner Glas- Interpretation des mystischen Kartenspiels Tarot in einer dreireihigen Gesamtfläche von etwa 5 x 14 Metern. Als er dort ausziehen musste, motivierte ich ihn, sein Künstler-Tarot den Spielkartensammlern in handlicherer Form zugänglich zu machen. Nach Überwindung beträchtlicher technischer Schwierigkeiten gelang ihm dies durch Druck seines Glas-Tarots auf Acrylglas – präsentiert in einer edlen Holz-Schatulle, in limitierter Auflage von 77 Spielen. Auf mein Exemplar mit der Nr. 1 bin ich sehr stolz.

Glas-Tarot von Reinhard Schmid / Viechtach


Meine Sammlung wuchs und wuchs. Ende 2006 waren es über 2.000 Spiel und es hatte sich wegen meines nicht besonders guten Gedächtnisses schon die eine oder andere teure Doublette eingeschlichen. Um den Überblick nicht ganz zu verlieren, wollte ich den Bestand meiner Sammlung in einer Datenbank erfassen. Sammlerfreund Sigmar Radau benutzte für seine Sammlung und Literatur-Recherche ein kleines ACCESS-Programm, das er mir im Jahr 2007 freundlicherweise zur Verfügung stellte. Von einem Programmierer erweitert und an meine Wünsche angepasst zeigt es mir seither auf Knopfdruck gesuchte Spiele, druckt Listen aus usw.

Archivierungsprogramm auf Basis Microsoft ACCESS

Bis es so weit war, mussten aber erst einmal die Stammdaten jedes Spiels eingepflegt, also von den handgeschriebenen Karteikärtchen übertragen werden, und, noch schlimmer, von jedem Spiel 3 maßgebliche Karten (z.B. Bube Kreuz, Herz-As und eine Rückseite) eingescannt werden, was bei altersbedingt gewölbten Karten recht "tricky“ sein kann.


Also viel Arbeit und nach Adam Riese bei 2000 Spielen doppelt so viel wie bei 1000. Also reduzierte ich meinen Bestand erst einmal auf die Hälfte – durch Verkauf an Händler und Sammler und Spenden ans Spielkartenmuseum. Trotzdem dauerte es mehr als ein halbes Jahr bis die ca. 1000 verbliebenen Spiele inventarisiert waren. Aber es hat sich gelohnt!


Die neuere Zeit mit dem Aus der Spielkartenproduktion von ASS Leinfelden und AGMüller in Neuhausen und den bedauernswerten Folgen für die Spielkartensammlergemeinde lasse ich hier aus. Leider können aus personellen, finanziellen, z.T. auch lokalpolitischen Gründen die Spielkartenausstellungen nicht mehr so häufig und aufwendig organisiert werden wie früher, besonders auch was die gedruckten Kataloge anbelangt.


Umso erfreulicher ist es, dass Sammler-Autoren wie Sigmar Radau, Frieder Büchler, Klaus-Jürgen Schultz, Peter Endebrock, Jürgen Kranich, und Dr. Kai Stolzenburg mit Ihren Publikationen in die Bresche gesprungen sind. Mit beeindruckender Expertise und bewundernswertem Einsatz sorgen sie dafür, dass das Thema Spielkarten immer besser dokumentiert wird.


Ebenso positiv ist der über die Jahrzehnte nicht abgerissene freundschaftliche Kontakt zum Deutschen Spielkarten Museum Leinfelden-Echterdingen mit der jetzigen Leiterin Frau Dr. Köger und ihrer Crew von Ehrenamtlichen, die trotz der über die Jahre immer schwierigeren Rahmenbedingungen einen "great job“ machen.


Beim Erwerb wichtiger Spiele für die weltweit führende Sammlung des Deutschen Spielkarten-Museums hilft seit 1984 der Verein zur Förderung des Deutschen Spielkartenmuseums Leinfelden-Echterdingen e.V. Nach dem Tod von Herrn Rathard Sick, dem jahrzehntelang engagierten
Vorsitzenden des Vereins im Jahr 2017 wird der Förderverein seit 2018 mit bewundernswertem Engagement von Frau Dongowski-Kelling geleitet.


Als eher passives Mitglied der Spielkartensammler-Gemeinde habe ich immer wieder Freude an dem aus verschiedenen Aspekten hoch interessanten Thema. Auslöser waren bei mir ursprünglich die "schönen Bildchen“, bei anderen Sammlern sind es die historischen und politischen Bezüge, die Entwicklung der grafischen Gestaltung, der Vervielfältigungs- und Drucktechnik aber auch der Verbote und der Besteuerung des Kartenspiels über die Jahrhunderte, das Zaubern mit Spielkarten, die Spielkarten in anderen Kulturen usw. Wie würde Fontane sagen: Ein weites Feld!


Zum Schluss noch einige Binsen(?)-Weisheiten zum (Spielkarten-)Sammeln


  • Der Weg ist das Ziel – egal, was man sammelt
  • Möglichst auf ein Spezialgebiet konzentrieren – dann wird es nicht ganz so teuer!
  • Die Kontakte zu anderen Sammlern, Händlern und den Spielkartenmuseen pflegen.
  • Treffen von BDK/TALON, Cartophilia Helvetica, IPCS besuchen.
  • Nicht auf große Erfolge beim Tauschen hoffen (was man selbst mitbringt, haben die „Alten
    Hasen“ meist schon längst) aber darauf, in der eigenen Sammlung fehlende Spiele kaufen zu
    können.
  • Und schon gar nicht darauf hoffen, fehlende Karten eines unvollständigen Spiels noch
    irgendwo/irgendwann zu ergattern.
  • Im Internet stöbern und kaufen, z.B. auch Ephemeria wie Spielkartengläser, Stiche / Bücher
    zum Thema, Bilder von Kartenspielern usw.
  • Nicht auf den großen/schnellen Reichtum hoffen! Bei antiquarischen Objekten gilt die alte
    Kaufmannsweisheit "Zwischen An- und Verkauf liegt die Sünde“ ganz extrem.
  • Die eigene Sammlung ist ein Teil unseres Lebens. Wenn sie dereinst verkauft wird, dann
    ziemlich sicher unter dem Geldwert, den wir für Kauf, Reisen, Archivieren usw. investiert
    haben.
  • Aber was soll's? Die Freude am Sammeln ist nicht käuflich und nicht verkaufbar.


In diesem Sinne wünsche ich den nachwachsenden Sammlern viel Erfolg!


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