Sammeln von Berufs wegen

Sammelleidenschaft aus der Sicht einer Kunsthistorikerin

Ein Anruf aus dem Barockschloss in Ludwigsburg überraschte mich im Herbst 1997 auf meinem damals neuen Arbeitsplatz im Deutschen Spielkartenmuseum. Dem langjährigen Schlossverwalter war ein bürgerliches Salon-Ensemble aus dem Haushalt eines ehemaligen Offiziers König Wilhelms I. von Württemberg angeboten wurden. Ein Schrank mit  Chaiselongue, Sitzmöbeln und Stühlen. Doch das herausragende Stück, welches sich hervorragend in die Sammlung des Spielkartenmuseums integrieren würde, war ein Spieltisch mit gut gefüllter Tischschublade.

Der angebotene Spieltisch beherbergte nämlich zahlreiche Kartenspiele, Handtäschchen, Schwarz-Weiß-Fotografien und vieles mehr. Es waren ausgefallene und besondere Raritäten aus der Biedermeierzeit.


Der umsichtige Schlossverwalter erinnerte sich an seine ehemalige Volontärin bei den staatlichen Schlössern und Gärten, die an einem Freitagnachmittag versehentlich in dem eigens für die Doktorandin eingerichtetes Dachatelier eingeschlossen und dann doch noch vor dem Wochenende entdeckt und befreit worden war. Er wusste, dass sie zwischenzeitlich im Deutschen Spielkartenmuseum in Leinfelden-Echterdingen arbeitete. Diese Doktorandin war ich.

Welch eine glückliche Fügung, dass er mir von diesem einzigartigen Tisch berichtete und sogleich eine Verbindung zu dem Erben des Biedermeier-Ensables herstellte. Dieser entscheidende Schritt, mich über den Biedermeier-Spieltisch und seinem Inhalt zu informieren, ließ natürlich auch sofort mein eigenes Sammlerherz höherschlagen.

Vor allem als mir klar wurde, welche einmalige Chance für das Museum und die Stadt Leinfelden-Echterdingen sich darunter verbarg. Es war ein Glücksfall, dass ein hoch-interessantes Fundstück direkt aus Privatbesitz in die schützenden Archivschränke unseres Spezialmuseums ge-

langen konnte.


Nach einigen Telefonaten sowie der Besichtigung des Spieltisches und der  Einbeziehung des  Fördervereins, der

das Museum finanziell unterstützt, konnte der Ankauf Anfang Januar 1998 erfolgen. Der damalige Vorsitzende

des Fördervereins, Rathard Sick, ließ sich von mir als Neuling -ich war gerade mal zwei Jahre als Museums-leiterin im Amt - von der Chance überzeugen, diesen seltenen Fund für das Spielkartenmuseum, für Leinfelden-Echterdingen, für die Region Stuttgart und für ganz

Baden-Württemberg zu sichern, lag doch der ursprüngliche Herkunftsort Ludwigsburg so nahe.

Es hatte wohl Pläne gegeben, das mit rotem Samt bezogene und gepolsterte Möbel-Ensemble an amerikanische Interessenten zu verkaufen. Der Förderverein des Museums ermöglichte jedoch dieses einmalige Ensemble für hier zu sichern. Für solche "Glücksfälle" springt der Förderverein ein, da er sich aus privaten Spenden und  Mitgliedsbeiträgen finanziert.


Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich im Laufe eines Sammlerlebens einer Kunsthistorikerin eine solche Gelegen -heit überhaupt ergibt, geschweige denn mehr als einmal. Sie ist vergleichbar mit einem Hauptgewinn im Lotto.

Warum war und ist das ein sensationelles Angebot ? Einen Spieltisch aus der Zeit des Biedermeier zu finden, kann schon eine große Freude für sich sein. Doch mit einer Schublade, die mit historischen Kartenspielen gut gefüllt war, entsprach dieses Biedermeiermöbel einem Schatzfund.



Was war im Originalzustand verpackt ? Es fanden sich Kartenspiele aus der Zeit um 1850. Diese waren in unbespieltem Zustand, also perfekt erhalten.



Die Provenienz führt zurück in den Herrschaftsbereich von König Wilhelm I. von Württemberg und seiner Dienerschaft.

Der Spieltisch stammt aus dem Haushalt der Gräfin Bylandt von Ludwigsburg. Ihr Mann, bzw. ein Vorfahre oder Angehöriger, war Offizier bei Wilhem I. gewesen.

Über Heirat und Aussteuer gelangte der Spieltisch in den Besitz der Mutter des Verkäufers und damit schließlich in die nähere Umgebung von Stuttgart. Stets gehütet und den Kindern verboten war das Spielen damit, wie sich der Verkäufer an seine Kindheitstage erinnerte. Die Mutter hatte das Ensemble wie ihren Augapfel streng gehütet. Erst drei Jahre noch ihrem Tod konnte er es wagen, das für seine Mutter fast "heilige Stück" in andere Hände geben zu dürfen.

Der Vorteil des Museums ist es, garantieren zu können, dass das Ensemble zusammenbleibt. Und so konnte ein historischer Fund im Original aus der Biedermeierzeit für die Nachwelt bewahrt und erhalten werden.

Die Schublade gewährt Einblicke in den Zeitvertreib von  Hofbediensteten in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie ahmten das Verhalten iherer adligen Herrschaften nach. Zu deren 'passe du temps' , sprich Zeitvertreib, gehörten neben Jagdgesellschften, Opernaufführungen, Konzerten und Bällen auch stundenlange Spielabende und -nächte.

Im Ludwigsburger Schloss manifestierten sich diese fest-lichen Vergnügungen sogar in den beiden Spiel-Pavillons im ehemaligen Corps de Logis (Wohntrakt im Schloss).

Insgesamt 52 Objekte umfassen die Kuriositäten aus der Schublade des Biedermeier-Tisches.

Von ganz besonderer Bedeutung für die Spielkartensammlung sind folgende Kartenspiele:


Beruf und Leidenschaft - geht das ?


Diese Frage beantworte ich gerne mit einem eindeutigen Ja. Denn ohne Leidenschaft kann der Funke nicht überspringen, und das betrifft vorwiegend auch die Wissensvermittlung.


Es lohnt sich, für Kultur zu brennen!


Dr. Annette Köger, M.A., 25.02.2025